Drei Kisten Kindheit
In meinem Keller stehen drei Umzugskartons voller Kindheit
Die Deckel hastig zugeklappt und ins Regal gestellt
So eilig war der Aufbruch, die Eigentümer sind weit
Auf ihrer Suche nach dem Glück, ihrem Weg in die Welt
Darin ist alles, was sie als Ballast empfunden haben
Am Morgen ihres Lebens, als sie aufgebrochen sind
All ihre Schätze, ihre Spielsachen sind da vergraben
Die Habseligkeiten, an denen ihr Herz hing als Kind
Die wohlgehüteten Geheimnisse sind drin verschlossen
Die Zeugen ihrer Kümmernisse stumm und gut versteckt
Die Chronik ihrer Kinderzeit wie in Harz eingegossen
Erstarrt wie ein in Bernstein eingeschlossenes Insekt
Über halb offenen Deckeln liegt ein unsichtbarer Riegel
Der mir den Zugang zu ihrem heiligen Gral versagt
Aus unerschütterlichem kindlichen Vertrauen ein Siegel
Das selbst die elterliche Neugier nicht zu brechen wagt
Ich weiß auch, ich würde es ohnehin gar nicht ertragen
Vorm Regenbogenpony und all dem Spielzeug zu stehen
Das einst die Zahnfee brachte und mein Halt würde versagen
Würd' ich die Alf-Kassetten hören und Bert und Ernie sehen
Doch obenauf ein Heft, das kenn ich schon an seiner Farbe
Das Mitteilungsheft, und sein Inhalt ist mir wohl bekannt
Und mancher Lehrerspruch darin hinterließ manche Narbe
Bei einem Kind, das darin immer wie am Pranger stand
Und plötzlich stehen sie wieder vor mir, all die Kinderquäler
Das schuppenschultrig-selbstgerechte Steißtrommlerkartell
Die Peiniger, die Unterdrücker und die Erbsenzähler
Der Knecht vom Kreiswehrersatzamt, die Petze von Pedell
Und heute noch wie böse, schwarze Rabenvögel hocken
Sie Nacht für Nacht an meinem Bett und reißen Lebenslust
Aus meiner Seele und mit scharfen Schnäbeln ganze Brocken
Von Liebe, wie Prometheus einst das Leben, aus der Brust
Wieder ist alles wach, die Demütigung, die Schikane
Die Schule, die als einziger Kummer sich bei uns einschlich
Als bittere Erfahrung, doch ich hoffe und ich ahne
Dass unsre Kinder sie lockerer wegstecken als ich
Im Garten sind die Bäume, die wir pflanzten, groß geworden
Der Nussbaum und der Ahorn, das Apfelbäumchen ein Baum
Das Lied des Lebens schreibt sich fort in immer neuen Akkorden
Und was davon verklungen ist, bewegt die Kinder kaum
Alles ist gut, sie müssen neue, eigene Wege gehen
Auf eigenen Flügeln fortfliegen und dafür taugt es nicht
Sich nach uns und nach ihrem alten Spielzeug umzusehen
In drei Umzugskartons im Keller in funzligem Licht
Drei Kisten Kindheit, die ich für sie hüte und bewahre
Gelassen, froh - ich weiß aus eignem Lebenslauf zum Glück
Die Kinder kommen wieder heim, gebt mir nur ein paar Jahre
Dann holen sie sich daraus ihr Kinderparadies zurück