Elegie für Pasolini

Elegie für Pasolini

I

Auch wenn sie dich jetzt auf ihre Fahnen malen
und mit diesem heiligen Eifer und Zorn
die Mörder jagen –
was nützt das deinem eingeschlagenen Schädel,
Paolo Pasolini?
Du warst für sie immer eine schwule Sau,
dekadent und pervers,
ein Träumer,
den Rechten zuviel Kommunist
und deiner Partei zuviel Mensch.

Du hast Genossen gesucht,
und sie haben dir dafür
dein Parteibuch zurückgegeben.
„Trotzdem bleibe ich jetzt und immer Kommunist“,
hast du geantwortet,
und kurz vor deinem Tod:
„Der Tod besteht nicht darin,
dass man sich nicht mehr mitteilen,
sondern dass man nicht mehr verstanden
werden kann.“

II

Chor:
Denn wer den Zweifel liebt
hat schon verloren,
es kann nicht gut sein,
wenn man abweicht von der Norm.
Nur wer ein Glatzkopf ist
bleibt ungeschoren,
und nur wer mitmarschiert,
marschiert nach vorn!

III

Glaub mir, Paolo Pasolini,
sieben Jahre nach deinem Tod
hat sich nicht viel verändert.
Die Veilchen blühen im Frühling
nach dem gleichen Prinzip,
und all die schönen,
begehrenswerten Knaben
schlagen nach wie vor
ihren Freiern
die Nasen ein.
Die Faschisten haben dieselben
Orgasmusprobleme
und warten mit geblähten Samensträngen
auf die Endlösung.
Vom ägyptischen Weihrauchhandel
bis zum konzertierten Börsenbetrug
ists ein Atemzug,
und die babylonischen Bankiers
haben ihre Geschäfte
in die oberen Etagen der Ölgesellschaften
verlegt.
Wir bauen immer noch fleißig ihre Pyramiden,
nur,
wo sollen die später mal graben?
Hiroshima ist nur ein Vorort von Jericho –
aber ganz wird der große Endknall
eines gewissen ästhetischen Reizes
nicht entbehren:
Eine malerische Wolke Gift
senkt sich auf die Menschheit
und bettet sie in den Tod.
Heloten und Spartacus,
ein paar Demonstranten mit Stehvermögen
und blutigen Köpfen,
die Mutigen sind nicht mehr geworden,
ach,
manchmal glaube ich,
es kommen immer wieder dieselben
auf die Welt.

Und dazwischen
die traurigen Genies, die Wahnsinnigen,
die Irrationalisten, die Verstoßenen,
dieser viel zu zärtliche Ansturm gegen Profitgier
und die Prügelfaust der Wahrheiten,
kaum Veränderungen,
kaum Entwicklung,
manchmal ein Anflug von Liebe
unter den Eismeeren,
Berührungen vielleicht,
Worte und Zeichen –
mich jedenfalls kann die Weltgeschichte am Arsch lecken.

IV

Chor:
Denn wer den Zweifel liebt
hat schon verloren,
es kann nicht gut sein,
wenn man abweicht von der Norm.
Nur wer ein Glatzkopf ist
bleibt ungeschoren,
und nur wer mitmarschiert,
marschiert nach vorn!

V

Du überblickst jedenfalls
jetzt alles viel besser,
und ich glaube,
du kommst mit den Toten eher zurecht.
Totsein macht großmütig,
und richtig einig mit sich
wird man eben erst im Nachhinein.
Hilf mir doch ein bisschen,
reiß mir einen Augenblick den Himmel auf.

Es kann so schön sein,
an Flüssen zu sitzen,
die Beine baumeln zu lassen,
und ich stelle mir Wälder vor
und kräftige Menschen,
die so tief Luft holen,
dass ihnen schwindlig wird,
und zwischenrein:
Polizeiknüppel und Aufmärsche,
Beine und Busen,
aufgewogen und als Geschenkpaket
verschnürt,
wo soll man noch Atem holen,
wo soll man noch lieben,
haben dir deine Mörder nie ins Gesicht gesehen,
warum ist ihnen die Hand nicht verdorrt,
ich wäre doch so zärtlich gewesen zu dir,
Paolo Pasolini.

Natürlich,
sie müssen ihre Welt ja immer mit Fahnen erobern,
aber ich will von keiner Fahne abbeißen,
es heißt,
dass dieses Tuch bitter schmecke.
Sie wollten schon lange deinen Kopf,
Jochanaan,
denn wer lässt sich schon gern das Bettuch wegziehen,
wenns draußen kälter wird?

Wachstum, Pasolini,
und die Wärme der Fernsehsessel!
Lustvolle Menschen kann man nicht besitzen,
nur was sie veräußern können,
auf was sie treten können,
das nennen sie Liebe.

„Lasst uns umkehren.
Es lebe die Armut.
Es lebe der kommunistische Kampf
für die lebensnotwendigen Dinge.“

VI

Chor:
Denn wer den Zweifel liebt
hat schon verloren,
es kann nicht gut sein,
wenn man abweicht von der Norm.
Nur wer ein Glatzkopf ist
bleibt ungeschoren,
und nur wer mitmarschiert,
marschiert nach vorn!

VII

Nein!
Nein!
Natürlich werde ich nicht aufgeben.
Ich will die Zeit noch nützen.
Wer weiß, wanns Schluss ist.

Es gibt Menschen,
denen läuft plötzlich das Gehirn aus.
Das dauert ein paar Monate.
Erst können sie sich nicht mehr konzentrieren,
dann vergessen sie, wo der Lichtschalter ist.
Und in ihren kurzen wachen Momenten
weinen sie hemmungslos.

Aber Gedanken können nicht einfach wegfließen.
Auch du hast die Erde getränkt,
und soviel Land
können nicht mal deine Mörder umpflügen,
um zu verhindern,
dass da was wächst.

Nicht für die Welt,
nicht für Gott,
nicht für das Paradies,
und nicht für die Menschheit,
vielleicht nur für eine Handvoll Träumer,
keine Illusionisten,
keine Fantasten,
sondern einfache Menschen,
die plötzlich jetzt und heute sagen,
sich auf die Straße stellen
und schlicht behaupten:

Mit mir nicht, meine Herren.

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